Theater im Bahnhof Zoo

Bahnhof Zoologischer Garten, 2007

 

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Jahrzehnte lang stand der Bahnhof  Zoo für Glanz und Elend der Enklave West-Berlin, heute zeigt seine Ablösung als Fernbahnhof die neuen Gewichtungen in der wiedervereinigten Stadt an. Was verändert sich mit diesem urbanen Umbruch für den Einzelnen, was entsteht dadurch neu? Für die FORT_FÜHRUNG unterhielt sich die Oper Dynamo West mit Menschen, die im Bahnhof Zoo arbeiten oder leben, die den Bahnhof verwalten oder regelmäßig nutzen: Ladenbetreiber, Obdachlose, Bahnangestellte oder Pendler. Auf einem Parcours durch den Bahnhof Zoo erlebten die Zuschauer in kleinen Gruppen das Ergebnis der Recherche.

 

For decades, the Bahnhof Zoo stood for the splendor and misery of the Enclave West Berlin, today its replacement as a long-distance station shows the new weightings in the reunified city. What is changing with this urban upheaval for the individual, what newly arises?

For the FORT_FUEHRUNG the Oper Dynamo West talked to people who work or live in the Bahnhof Zoo, who manage or regularly use the station: shop operators, homeless people, railway employees or commuters. On a course through the Bahnhof Zoo, the audience experienced the results of the research in small groups.

 

Regie: Franziska Seeberg, Johannes Müller, Janina Janke

Raumkonzept und Kostüme: Philine Rinnet und Julie Rüter

Technik: Ralf Arndt

Servicebereich: Annekathrin Bach, Brigitte Cuvelier, Cathrin Romeis

Schließfächer: Christina Heiße, Olaf Dröge

Reinigung: Katharina Hauch, Anja Hegen, Soo Eun Lee, Remo Lotano

Gleis 3/4: Kirsten Burger

Wartehäuschen: Christin König, Dors Erbring-Kahn, Katharina Hauck, Joachim Konrad, Michael Stoerzer, Olaf Dröge, Horst Moye

Große Halle: Ruth Rosenfeld, Dominik Kleinen, Kirsten Burger, Sina Rohner

Hostessen: Erika Haaksma, Hiep Han, Hsung Huang, Hoi Yan, Kaye Tai, Eun-A Kim, Su Jeong Kim, Mi-kyoung Kim

 

Eine Produktion von Oper Dynamo West und ehrliche arbeit – freies Kulturbüro

Mit freundlicher Unterstützung der Deutsche Bahn AG.

Gefördert durch das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf Berlin, Kulturamt.

 

 

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Im Bahnhof Zoo, einst quirliges Wahrzeichen und schmuddeliges Foyer der Frontstadt Westberlin, rauschen die ICEs heute nur noch durch. Statt Reisender bevölkern Penner und Punks verstärkt das Terrain. In der ehemaligen DB-Lounge sitzt eine heruntergekommene Dame im Rollstuhl, der gleichzeitig ein fahrender Zeitungsstand ist. Kaum dass sich jemand nähert, knipst sie einen herzzerreißenden Gesichtsausdruck an und bietet zitternd eine Obdachlosenzeitung zum Verkauf. Doch die Dramatik ihrer Mimik provoziert unwillkürlich die Frage: Bettelt sie noch oder spielt sie vielleicht schon Theater? 

Diese Frage stellt sich in der Ex-DB-Lounge zurzeit recht oft, denn sie ist Ausgangspunkt eines Projekts der Theaterformation „OPER DYNAMO WEST“, die der verblassenden Aura Westberlins verfallen ist und seine verödeten Orte jetzt für das Theater entdeckt. Bald wird man aus der Lounge von drei eskimohaft weiß gekleideten Damen asiatischer Herkunft abgeholt und auf verschlungenen Wegen treppauf und treppab durch den Bahnhof geführt. In einem Raum treffen wir zwei Hostessen (Annekathrin Bach und Brigitte Cuvelier), die Butterbrote schmieren und über bessere Zeiten sinnieren. Auf Gleis drei sieht man in eisiger Kälte eine schrill, aber äußerst leicht bekleidete Dame (Kirsten Burger) in Zeitlupe den Bahnsteig wischen. … Spätestens jetzt sind die Grenzen, die Wirklichkeit und Spiel im Theater meist klar von einander trennen, verwischt.

Wieder unten in der Halle, sehen plötzlich alle Leute wie gecastete und von versierten Kostümbildnern typengerecht gestylte Darsteller aus. Ein junges Junkiepaar zum Beispiel, das unter einer Anzeigetafel lungert: das könnte mühelos auch in einer Schaubühneninszenierung vorkommen. Aber nein, das Paar ist wohl echt, denn die Eskimohostessen ziehen stoisch an ihnen vorüber und steuern eine miefige Schließfachallee an, in die bald ein merkwürdiger überirdisch lächelnder junger Mann (Olaf Dröge) im Rollstuhl rollt. Aus einem der größeren Schließfächer windet sich dann tatsächlich eine echte Schaubühnenschauspielerin heraus, Christina Geiße, und spielt mit Dröge ein in unbeholfene Zärtlichkeitsrituale vertieftes Paar.      

Und so geht es weiter, das Spiel mit den Wahrnehmungs- und Theatergewohnheiten. … Am Ende wirkt der Bahnhof Zoo wie verwandelt, die eigenen Wahrnehmungsraster gründlich aufgemischt – mehr, als man sonst oft aus dem Theater mit nach Hause nimmt.

(taz Berlin, 14.2.2007)

 

Am Bahnhof Zoo herrscht tote Hose. Doch jetzt kommt wieder Leben in den alten „Hauptbahnhof von Westberlin“. 19 junge Schauspieler sorgen für eine „Fort-Führung“. So heißt das ebenso verrückte wie nachdenkliche 75-Minuten- Stück. Das Ensemble „Oper Dynamo-West“ macht den Bahnhof zur Show-Bühne für ihr experimentelles Theater. Ob Wartehalle, Bahnsteig, Kantine, Gepäckfach, Sitzbank oder Auskunft – alles wird zur Bühne für Installationen, Sketche, Tänze und Monologe.

(B.Z., 12.02.2007)