Halle an der Saale, 2009
Gefördert durch das Thalia Theater Halle und der Deutschen Bank Stiftung im Rahmen des einjährigen Stipendiaten-Programms FORMAT – Neue Wege in der Kultur
Ich sah eine Stadt im Wandel.
Wohin würde sich Halle entwickeln? Boten die Bracheflächen und ruinenhaften Zerklüftungen, die so typisch waren für das Stadtbild, einen Freiraum, der darauf wartete, mit neuen Ideen gefüllt zu werden? Oder waren sie Vorboten eines Verschwindens, eines baldigen urbanen Todes?
Auf meinen Stadt-Erkundungen kam ich am Steg-Gelände vorbei – kurz vor der Wende wurde hier ein Ensemble aus drei identischen Punkthochhäusern fertig gestellt. In der Zeit meines Aufenthaltes wurde das Haus am Steg Nr. 5 abgerissen. Langsam, geradezu behutsam war der Abriss. Ein Stockwerk pro Woche; so lautete der Plan. Die einzelnen Wandfragmente wurden aus dem Gefüge des Hauses gefräst und an einen Haken gehängt. Ein Kran hob die Last und legte sie auf einer Halde ab. Dieser Vorgang wiederholte sich jede Stunde etliche Male: Ruhig, konzentriert, anmutig. Schwebende Wände, die am Himmel vorbei zogen – für einen Moment schwerelos, scheinbar von der Last der eigenen Materie befreit.
Angesichts des Steghochhauses Nr. 5 entwickelte ich die Idee, einen Festakt auf den Fundamenten des gerade abgerissenen Hauses zu initiieren: Ein Abschiedsgruß an den Steg Nr. 5, verwoben mit Erinnerungen einzelner Personen an den die DDR und die Zeit der Wende. Eine der schwebenden Wände sollte als eine Art Erinnerungsobjekt Teil des Festaktes werden. So bekamen wir eine Wand geschenkt: 6 Tonnen schwer, 3 Meter hoch und 7 Meter lang.
Ein Chor sollte den Festakt auf musikalische Weise begleiten. Ich suchte einen Hallenser Seniorenchor, in der Hoffnung, dass die einzelnen Mitglieder mir auch von ihren Erfahrungen in Halle während der DDR-Zeit erzählen würden. Meine Suche führte mich zum Singekreis Halle. Über mehrere Monate wurde ich selbst Mitglied des Chores, lernte sein Repertoire, verbrachte mit dem Chor ein Wochenende auf einer Burg und lernte so nach und nach die einzelnen Menschen kennen. Ein Großteil des Chores war am Ende bereit, den Festakt auf dem Steggelände mitzugestalten – mit Liedern und Interviews, die als Material in den Festakt mit einfließen würden.
Am Abend des 27. Juni war es dann soweit. Etwa 150 Gäste trafen ein um mit uns gemeinsam in Form eines Richtfestes das verschwundene Steghochhaus noch einmal aufleben zu lassen.
Von und mit dem Singekreis Halle e.V.
Künstlerische Leitung und Regie: Franziska Seeberg
In Zusammenarbeit mit: Philine Rinnert
Musikalische Leitung: Ulrich Hellem
Gesang: Julia Preußler
Sprecher: Johannes Müller
Franziska Seeberg lud am Ende der Festivaltage zu einem nächtlichen Richtfest auf dem Gelände des ehemaligen Steghochhauses #5 im Glauchaviertel ein. So war dann der Titel „Am Steg #5“ für ihr Projekt auch nicht verwunderlich und zugleich Programm des Abends. Die Kulisse bestand aus einer geretteten Platte des ehemaligen Wohnturms am Glauchaer Platz, einer reich gedeckten Tafel und dem noch stehenden Punkthochhaus im Hintergrund. (…) Erinnerungen an eine im Rauch gefangene Stadt in der Winterzeit, verursacht von den damals üblichen Kohleöfen, wurden geweckt. Der Segen von Warmwasser aus der Wand in den neuen Häusern aus Beton ließ die Altbauten zunehmend verfallen. Der Spaziergang durch die Geschichte und die Straßen der Stadt Halle wurde vom Chor mit Wanderliedern gebrochen und illustriert. Aber auch der nüchterne Vortrag von Zeitungsartikeln aus dem damaligen SED-Bezirgsorgan „Freiheit“ hatte leicht satirische Züge. Das trockene Verlesen durch Johannes Müller ließ noch einmal die Lobhudelei der DDR-Medien aufleben. Doch die Krönung, eine Art Abgesang auf die geliebte gehasste Platte, war eine Arie aus Henry Purcells Oper „Fair Queen“. Julia Preußlers Stimme schwebte durch die kühle Sommernacht und verkündete: See, even night her self is here…
(Salikus, 7.7.2009)
Können Sie sich noch an des Steg Hochhaus Nummer 5 erinnern? Der letzte Akt des ehemaligen 22-Gerschossers wurde am Abend des 27. Juni gefeiert – ausgerechnet mit einem Richtfest. Franziska Seeberg zelebrierte ihren Festakt gemeinsam mit rund 150 Gästen. Ein sechs mal zwei Meter großes Wandelement – einziges Überbleibsel des Betongiganten – diente als Projektionsfläche für ihr Stück „Am Steg #5 – Ein Richtfest“. (…) Hauptdarsteller waren die 17 Mitglieder des Singekreis Halle. Sie sponnen mit ihren Geschichten ein Netz aus Wegen durch Halle, die sie früher durch die Stadt führten. Während Aufnahmen von der Umgebung rund um das ehemalige Hochhaus und der Abriss des Plattenbaus noch einmal als Projektionen auf der Wand zu sehen waren, sang der Chor bekannte Wanderlieder. (…) Nach einer Stunde fiel der Vorhang unter großem Beifall des Publikums.
(HWG Mieterpost, August 2009)