Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder und „Frauenliebe und -leben“ von Robert Schumann

Supermarkt im Wrangelkiez/Hebbel am Ufer, 2008

 

odw_fassbinder2008_1_©benjaminkrieg

 

Ein leerer Supermarkt in Berlin Kreuzberg. Hinter der Fensterfront: Leopold, Franz, Anna und Vera in einer Wohnzimmerlandschaft zwischen Käseschnittchen und Häkelgardinen. Die „Komödie mit pseudotragischem Ende“ von Fassbinder trifft auf die biedermeierliche Romantik von „Frauenliebe und –leben“.  Das innige Einverständnis mit bürgerlichen Konventionen stößt auf die Bereitschaft zur Ektase – bis zur Selbstauflösung.

Was ist aus dem Wunsch der 68er Generation, eine liberalere und gleichberechtigtere Gesellschaft zu gestalten, passiert? Welche Spuren dieses Aufbruchs lassen sich in unserer heutigen Zeit finden? Und welche Ideen gingen verloren und wichen altbekannten Strukturen? „Tropfen auf heiße Steine“ stellt die großen gesellschaftlichen Fragen über Freiheit, Selbstbestimmung und Macht und führt sie dahin zurück, wo sie ihren Ursprung haben: in die private Welt der eigenen vier Wände.

 

An empty supermarket in Berlin Kreuzberg. Behind the window front: Leopold, Franz, Anna and Vera in a living room landscape between cheese canapes and crocheted curtains. The „comedy with a pseudo-tragic ending“ by Fassbinder meets the Biedermeier romanticism of „Women’s Love and Life“ by Robert Schumann. The intimate agreement with bourgeois conventions encounters the readiness for the ecstasy – until the self-dissolution.

What happened to the desire of the ’68 generation to create a more liberal and equal society? What traces of this departure can be found in our time? And what ideas were lost and gave way to well-known structures? „Water Drops on Burning Rocks“ raises the big questions of society about freedom, self-determination and power and traces them back to where they originated: into the private world of the own four walls.

 

Regie: Franziska Seeberg

Musikalische Leitung: stefanpaul

Bühne und Kostüme: Julie Rüter

Dramaturgie: Johannes Müller

Fotos: Benjamin Krieg

 

Franz: Dominik Kleinen

Leopold: Walter Sprungala

Anna: Franziska Dick

Vera: Ernestine Tzavaras

Gesang: Sabine Hill

Klavier: stefanpaul

 

Eine Produktion von OPER DYNAMO WEST und ehrliche arbeit – Freies Kulturbüro.

In Kooperation mit dem Hebbel am Ufer, Berlin.

Eine Koproduktion von Schloss Bröllin aus den Mitteln des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.

 

 

 

Eine kleine, aber wirklich äußerst feine Beziehungskrisenmeldung kommt zum Beispiel von der vom Hebbel am Ufer koproduzierten Oper Dynamo West. Die freie Truppe hat sich auf die Erkundung ausgemusterter Immobilien in den Berliner Westbezirken spezialisiert und lädt … zur Feier der Paarkrise in einen leer stehenden Supermarkt… Die Regisseurin Franziska Seeberg hat das alles ganz genauso ernst, schwarzhumorig, traurig und unterhaltsam erzählt, wie es eben ist.

Tagesspiegel – 11 Juli 2008, Christine Wahl

 

Dieses Stück, das Fassbinder selbst nie auf die Bühne brachte, hat Franziska Seeberg jetzt mit der Oper Dynamo West komisch, berührend und rasant inszeniert. Die freie Theatergruppe ist bekannt für Musiktheater an abwegigen Orten, in Zoos, Motels oder Rotlichtvierteln. »Tropfen auf heiße Steine« spielt in einem Supermarkt, der seit Jahren leersteht. Die Scheiben sind verklebt, Passanten machen sich trotzdem lautstark bemerkbar. Die radikale Privatheit der Figuren in ihrem Eicherustikal-Siebziger-Jahre-Einbau-Spießer-Albtraum (Ausstattung: Julie Rüter) wird bei dieser Premiere am Freitag kontrastiert durch das öffentliche Leben im Hier und Jetzt.

junge Welt – 8. Juli 2008 – Conny Gellrich

 

Die Dialoge sind knapp, aber messerscharf. Fassbinder analysiert mit geradezu wissenschaftlicher Kälte die Stadien einer Beziehung. Von der Verführung, über die erste Liebe, bis zur Verflachung im Alltag. … Einmal lässt die Regisseurin die Schumannsche Sehsucht direkt ins Fassbinderstück hinüberschwappen. Die Akteure singen und wirken so zart und verletzlich. Für einen Moment blitzt Erhabenheit auf. Doch dann gehen die Machtkämpfe weiter. Als es am Ende einen Toten gibt, erscheint das folgende Lied fast wie ein zynischer Kommentar… Mal beißen sich Schumann und Fassbinder, mal kommen sie gut miteinander aus. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Deutschlandfunk, Corso – Sendung am: 4. Juli 2008 – Oliver Kranz

 

Die Theatergruppe „Oper Dynamo West“ will Orte im Westen der Stadt kulturell wiederbeleben … der Anspruch wird seit zwei Jahren und einer Handvoll Projekten mit Engagement durchgehalten… Als passend verkommenen Ort haben sich die Regisseurin Franziska Seeberg und ihr Team einen ausgeräumten Supermarkt im Wrangel-Kiez ausgesucht… Putzen, sich für den Koitus bereithalten und dann wieder putzen – so richtig mag Franz in dieser Rolle nicht aufgehen, auch wenn er das Ekel Leopold „schon sehr gern“ hat. Er nimmt Gift, verabschiedet sich telefonisch von seiner Mutter, die ihm eine gute Reise wünscht, wirft sich eine scheußlich geblümte Tischdecke über den Kopf und stirbt.

Berliner Zeitung – 7. Juli 2008 – Feuilleton – Ulrich Seidler