Ein Jazz-Theater inspiriert durch die Kurzgeschichte „Entropie“ von Thomas Pynchon

Bikinihaus Berlin, 2007

 

 

Es ist ein Jahrhundertfrühling. In diesem Jahr setzte er viel zu früh ein. Doch später wird sich niemand mehr an ihn erinnern. Außer mir, und dir vielleicht. Und während die Temperatur da draußen seit Tagen ungewöhnlich hoch ist, versuchen wir unser Treibhaus gegen den Weltuntergang abzuschotten.

 

Entropie beschreibt irreversible Prozesse in der Natur. Ein Beispiel für einen irreversiblen Prozess ist ein Glas, das von einem Tisch auf den Boden fällt und zerspringt. Nach Rudolf Clausius ist dieser Prozess irreversibel, da er nicht spontan in umgekehrter Richtung ablaufen kann. In der Tat ist noch nie beobachtet worden, wie die Splitter eines Glases sich spontan wieder zusammensetzten und das neu entstandene Glas auf einen Tisch sprang.

 

It is a Century Spring. This year he started much too early. But later nobody will remember it. Except me, and you maybe. And while the temperature out there has been unusually high for days, we try to seal off our greenhouse against the end of the world.  

 

Entropy describes irreversible processes in nature. An example of an irreversible process is a glass that falls from a table to the ground and shatters. According to Rudolf Clausius, this process is irreversible because it can not happen spontaneously in the opposite direction. In fact, it has never been observed how the splinters of a glass spontaneously reassembled and the newly formed glass jumped onto a table.

 

Regie: Franziska Seeberg

Bühne und Kostüme: Julie Rüter
Dramaturgie: Miron Hakenbeck
Technische Leitung: Ralf Arndt

Foto: Benjamin Krieg

 

Mit Annekathrin Bach und Nico Nothnagel

Yelena K & The Love Trio : Yelena Kuljic (vocal), Kristian Kowatsch (piano), Rodolfo Paccapelo (bass), Jan Roth (drums)

Fleisch & Schön: Beatrice Fleischlin und Sonya Schönberger

 

Eine Produktion von OPER DYNAMO WEST und ehrliche arbeit – Freies Kulturbüro.
Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds und der Karl-Hofer-Gesellschaft.

 

 

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Junge Künstler bespielen vorübergehend das Bikini-Haus. Ein leer stehendes Gebäude übt auf das Ensemble der OPER DYNAMO WEST eine geradezu unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Dann werden die Räume für eine Zwischennutzung okkupiert. Eine Musiktheaterproduktion entsteht und belebt den nach der Wende kulturell recht vernachlässigten Westen neu. Die Künstler betrachten bei ihrer Auseinandersetzung mit der Architektur die Stadt als ihr Bühnenbild. Das Ergebnis sind ungewöhnliche Inszenierungen. Wie „Entrópia“, eine chaotische Party zwischen Jazz und Physik nach der Kurzgeschichte „Entropie“ des viel diskutierten Autors Thomas Pynchon. Ersonnen von Regisseurin Franziska Seeberg mit dem Ensemble sowie Yelena K & The Love Trio, der Performance-Gruppe Fleisch und Schön und Annekathrin Bach. Pynchons Themen Paranoia, Entropie und Todessehnsucht werden in einem Treibhaus kurz vor dem Weltuntergang reflektiert. Schwerer Stoff, beschwingt aufbereitet.

(Berliner Morgenpost, 22.3. 2007)
 

Das Jazz-Theater-Stück „En Tròpia“ der Initiative OPER DYNAMO WEST untersucht im halbleeren Bikini-Haus den Zustand der „Entropie“. Ein eigentlich physikalischer Begriff für eine energetische Zustandsbeschreibung, die unter anderem besagt, dass Wärme nie spontan von einem kälteren auf einen wärmeren Körper übergehen kann – sagt zumindest Max Planck. Ziemlich kompliziert. Weshalb sich die Regisseurin Franziska Seeberg auch auf die gleichnamige Kurzgeschichte von Thomas Pynchon beruft und ihr Stück nicht auf szenisches Schauspiel begrenzt, sondern eine Collage von Jazz-Musik, kurzen Dialogen und einer Installation ausweitet.

Ähnlich einem physikalischen Experiment lebt „En Tròpia“ von der Wiederholbarkeit: ganze fünf Mal vollzieht sich die Begrüßung von Ihr und Ihm in einer festgelegten Handlungsabfolge. Doch immer wieder ändert sich der energetische Zustand der Beziehung – mal ist man einander neutral, das andere Mal herzlich warm, zuletzt ist man sich spinnefeind. Alles ist zunächst synchron, verschiebt sich jedoch in zeitlichem Ablauf zur Asynchronität. Entropie, ein Zustand für Chaos? Bleibt noch der Hinweis der Darsteller, draußen seien es stets 37 Grad Celsius. Wir sind selbst Teil des Körpers Erde, will diese Andeutung sagen. 

(Berliner Morgenpost, 26.3.2007)

 

Die West-Berliner Stadtbezirke haben in Sachen Theaterdichte in den letzten Jahren deutlich abgebaut. Das Projekt OPER DYNAMO WEST stellt sich dieser Entwicklung beherzt entgegen. Mit dem u.a. von Thomas Pynchon, Chet Baker und einem Hauptsatz der Thermodynamik inspirierten En trópia zeigt das junge Ensemble eine ungewöhnliche Symphonie aus Jazz, Physik und den Klängen der Großstadt.

(Tagesspiegel, 29.3.2007)