Rechercheprojekt für Hörspiel- und Theaterproduktion, Rumänien 2016/2017
In Zusammenarbeit mit Norbert Lang
Gefördert durch das Arbeits- und Recherchestipendium des Senats – kulturelle Angelegenheiten Berlin und das Grenzgängerstipendium der Robert Bosch Stiftung
Im Jahr 1964 beschlossen die Regierungen Rumäniens und Jugoslawiens den Bau des in der Donau liegenden Staudammes „Eisernes Tor I“. Um das gigantische Bauprojekt realisieren zu können, musste der vorangehende Flussabschnitt um 40 Meter aufgestaut werden. Genau hier lag Ada Kaleh, eine Insel inmitten der Donau, die nur einige Meter über den Wasserspiegel ragte. Die Insel war bewohnt und so begann 1968 der Rückbau der Gebäude, die sich auf ihr befanden. Nach und nach mussten die Bewohner auf Geheiß der Rumänischen Regierung Ada Kaleh verlassen. 1970 wurde die Insel schließlich geflutet. Innerhalb eines Tages verschwand sie in den Wogen der Donau.
Der Name „Ada Kaleh“ stammt aus dem Osmanischen und bedeutet „Inselfestung“. Weil sich über die Jahrhunderte hinweg die Grenze zwischen dem Osmanischen und dem Habsburgerreich immer wieder über die Insel hinweg verschob, änderte diese genauso häufig ihren Namen und ihre Topologie. Im 17. Jahrhundert, nach zahlreichen Eroberungen und Rückeroberungen, kehrte auf der Insel Ruhe ein – Piraten aus dem zerfallenen Osmanischen Reich fanden zwischen den Mauern der Festung Zuflucht. Als dann 1878 der Vertrag von Berlin unterzeichnet wurde, der auf dem Balkan neue Grenzverhältnisse schuf, wurde die kleine Insel schlichtweg vergessen und blieb seither im Besitz des osmanischen Sultans: eine „Insel des Islam“ im „Strome des Christentums“ (Egon Erwin Kisch).
Als 1923 Ada Kaleh schließlich Rumänien zufiel wurde die Insel zur Attraktion. Kurgäste kamen auf diesen Vorposten der Ferne, um „Orient zu schauen“. Es gab inseleigene Zigarren und Zigaretten, türkische Süßspeisen, Feigen und Aprikosen zu kaufen, man trank türkischen Kaffee oder ließ sich von den Inselbewohnern die Festungsanlage zeigen. Nach der Gründung der Sozialistischen Republik Rumänien wurde das Land zunehmend selbst zu einer Insel und Ada Kaleh zum streng kontrollierten Grenzgebiet: Aus Angst, Besucher könnten von der Insel aus die Donau überqueren und über Jugoslawien in den Westen fliehen, wurden Übernachtungen für Ortsfremde auf der Insel verboten.
Aber auch als sie bereits untergegangen war, blieb Ada Kaleh ein Ort des Übergangs: Insbesondere seit den 1970er und 1980er Jahren brachen an den Donauufern zahllose Menschen zur Flucht in den Westen auf. Hunderte Flüchtlinge überquerten die Donau schwimmend, in Booten oder auf Luftmatratzen. Viele Menschen ertranken oder wurden von den Grenzsoldaten am Ufer verscharrt. Und auch heute bleibt dieser Donauabschnitt eine politisch sensible Zone – sie liegt direkt an der EU-Außengrenze zu Serbien und wird von der Grenzpolizei streng bewacht.
Wir bereisten die Donauregion in der einst Ada Kaleh lag und wo sich heute das Kraftwerk „Eisernes Tor“ befindet. Wir besuchten Orșowa, eine Stadt auf dem Festland, die Ada Kaleh am nächsten war. Wir sahen die Insel Șimian auf der die Festungsmauern Ada Kalehs wieder aufgebaut wurden. Wir fuhren mit dem Auto an felsige Uferlandschaften entlang und blickten dabei auf die Donau. Wir dachten an Science-Fiction-Filme der 1960er Jahre als wir durch die Gänge und Schleusen des Eisernen Tors liefen. Wir reisten ans Schwarze Meer nach Constanța und betrachteten den Gebetsteppich der früher in der Moschee von Ada Kaleh lag. Und wir führten mit unseren Interviewpartnern lange Gespräche bei denen wir Unmengen regionaler Süßigkeiten aßen und reichlich Schnaps und türkischen Kaffee tranken. Wir sprachen mit mehreren ehemaligen Inselbewohnern, einem pensionierten Kapitän der österreichischen Donaudampfschifffahrtsgesellschaft und der ortsansässigen Grenzpolizei. Sie alle schufen mit ihren Erinnerungen und Erzählungen ein lebendiges Bild Ada Kalehs.
Josef Cervenka, ehemaliger Kapitän der österreichischen Dampfschifffahrtsgesellschaft // Orșowa an der Donau, einstiger Nachbarort von Ada Kaleh
Ahmet Engür, ehemaliger Bewohner Ada Kalehs // Șimian, die Nachbarinsel auf der die Festungsmauern Ada Kalehs wieder aufgebaut wurden
Vildan, ehemalige Bewohnerin Ada Kalehs // Moschee von Constanța, in der heute der Teppich von Ada Kaleh liegt
Omer Kadri, ehemaliger Bewohner Ada Kalehs // das virtuelle Ada Kaleh, von ihm am Computer nachgebaut